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ISSB und CSRD: Verbindliche Nachhaltigkeitsstandards kommen!

18.02.2022

Für Unternehmen steigt kontinuierlich die Notwendigkeit, detailliert und umfassend über ihre wesentlichen, nicht-finanziellen Nachhaltigkeitsinformationen zu berichten. Der Druck auf Unternehmen kommt dabei von verschiedenen Seiten. Politische Vorgaben wie die EU-Taxonomie oder die geplante Corporate Sustainability Reporting Directive [1] (CSRD) machen die Berichterstattung von Nachhaltigkeitsinformationen gesetzlich verpflichtend. So müssen europäische Unternehmen ihre Geschäftsberichte ab 2024 nach den neuen EU-Nachhaltigkeitsberichtsstandards (ESRS) verfassen, die im derzeit im Rahmen der CSRD von der Europäischen Beratungsgruppe zur Rechnungslegung (EFRAG) entwickelt werden. Doch auch der Informationsbedarf von allen Stakeholdern und insbesondere von Investoren, die ihre Investments immer stärker an Nachhaltigkeitsaspekten ausrichten (und hierzu ihrerseits von der Politik in die Pflicht genommen werden), setzen Unternehmen unter Druck. Die stetig wachsende Zahl der Regelwerke, die Empfehlungen geben, welche Informationen Unternehmen in ESG-Berichten angeben sollten, sorgt zudem für Verwirrung. Bei allen am ESG-Reporting beteiligten Parteien wird daher der Wunsch lauter nach global einheitlichen und rechtlich bindenden Standards. Genau das ist das Ziel des neugegründeten International Sustainability Standards Board (ISSB) und der CSRD. Für Unternehmen bedeutet das, schnellstmöglich ein professionelles ESG-Reporting aufzubauen. Andernfalls drohen neben Wettbewerbsnachteilen bald auch rechtliche Konsequenzen.

von Michael Diegelmann

Wiesbaden, 18. Februar 2022

Die International Financial Reporting Standards (IFRS) Foundation hat am 3. November 2021 auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow (COP26) die Gründung des International Sustainability Standards Board (ISSB) bekanntgegeben. Dadurch könnten die von Investoren wie von Unternehmen und Beratern geforderten einheitlichen Regeln für die Berichterstattung von ESG-relevanten Themen bald Realität werden. Denn das Ziel des ISSB ist es, Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen zu entwickeln, die global einheitlich angewendet werden und die Grundlage für nationale Gesetzgebungen werden sollen. Als Vorbild dient in dieser Hinsicht die Schwesterorganisation des ISSB, das International Accounting Standards Board (IASB). Die vom IASB entwickelten International Financial Reporting Standards (IFRS (Accounting) Standards), also Standards für die Finanzberichterstattung, sind mittlerweile in 166 Jurisdiktionen weltweit bindend. Die IFRS Foundation kündigte in diesem Sinne an, dass das ISSB eng mit dem IASB zusammenarbeiten werde, um die Konnektivität und Vergleichbarkeit der IFRS Accounting Standards und der IFRS Sustainability Disclosure Standards (=ISSB-Standards) zu gewährleisten.

Ausblick und Einflüsse

Den Zeitplan, wann das ISSB erste konkrete Standards vorstellen wird, skizzierte der am 16. Dezember 2021 ernannte ISSB Chairman und ehemalige Danone-CEO Emmanuel Faber in einem Interview: So sollen bis zum Ende des ersten Quartals 2022 Vorschläge veröffentlicht werden mit dem Ziel, bis Jahresende 2022 die ersten finalen Standards ausgearbeitet zu haben. Die Grundlage, um diesen ambitionierten Zeitplan einhalten zu können, bildet die Vorarbeit von Organisationen wie der Value Reporting Foundation [2] (VRF) und dem Climate Disclosure Standards Board (CDSB) [3]. Auf Basis der Berichtsstandards beider Organisationen sowie durch den Input weiterer Organisationen wie der Task Force on Climate-Related Financial Disclosure (TCFD) oder dem World Economic Forum entwickelte die Technical Readiness Working Group (TRWG) der IFRS Foundation zwei Prototyp-Berichtstandards, die sie ebenfalls auf der COP26 vorstellte. Die Prototypen  für die Berichterstattung allgemeiner nachhaltigkeitsrelevanter, finanzieller Informationen sowie für die klimabezogene Berichterstattung geben einen bereits recht konkreten Ausblick, wie die künftigen ISSB-Standards aussehen könnten. Für Unternehmen bleibt dabei festzuhalten, dass solche im Vorteil sind, die sich in ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung bereits an den Standards wie SASB (Sustainability Accounting Standards Board) orientieren, da diese zu großen Teilen in die künftigen ISSB-Standards einfließen. Unternehmen, die noch keine Nachhaltigkeitsberichterstattung etabliert haben, sollten dies schnellstmöglich nachholen und sich dabei ebenfalls an bestehenden Standards wie SASB orientieren.

Die IFRS Foundation kündigte auf der COP26 zudem einen Konsolidierungsprozess an, in dessen Rahmen existierende Berichtsstandards der VRF und des CDSB in den künftigen ISSB-Standards aufgehen sollen. Zudem wird ein Teil des Personals von VRF und CDSB neue Positionen innerhalb der IFRS Foundation sowie im ISSB einnehmen. Als Beispiel kann hier bereits Janine Guillot genannt werden. Die Vorsitzende der VRF hat zum 1. Februar 2022 ihre neue Aufgabe als Sonderberaterin des ISSB-Vorstands aufgenommen und wird dabei unter anderem die Konsolidierung der VRF in die IFRS Foundation vorantreiben. Parallel zur Besetzung von Janine Guillot als Sonderberaterin des Vorstands gab die IFRS Foundation Ende Januar 2022 eine weitere wichtige Personalentscheidung bekannt: So übernimmt Sue Lloyd zum 1. März 2022 den stellvertretenden Vorsitz des ISSB und damit dieselbe Position, die sie seit 2016 bei der Schwesterorganisation IASB bekleidete.

ISSB und CSRD: Konkurrenz oder Kooperation?

Emmanuel Faber erklärte anlässlich seiner Ernennung, dass das ISSB eine einmalige Chance darstelle den Bedarf von Investoren nach weltweit vergleichbaren Nachhaltigkeitsinformationen zu decken.  Diese Auffassung teilen auch Wirtschaftsprüfer von PWC und sehen in der neuen Organisation einen „Meilenstein für Nachhaltigkeitsberichterstattung“. Untermauert wird diese Einschätzung mit den Ergebnissen aus ihre Studie „Global Investor ESG Survey 2021“. Drei von vier der befragten Investoren gaben darin an, besser informierte Entscheidungen treffen zu können, wenn Unternehmen in ihren Berichten einheitliche ESG-Standards anwenden und dabei auf ein anerkanntes Rahmenwerk zurückgreifen. Einen wichtigen Beitrag könnte das ISSB aus Sicht der Wirtschaftsprüfer auch bei der Harmonisierung von europäischen und internationalen Standards leisten. Das gelte umso mehr vor dem Hintergrund, da die Europäischen Beratungsgruppe zur Rechnungslegung (European Financial Reporting Advisory Group = EFRAG) aktuell die EU Sustainability Reporting Standards (ESRS) erarbeitet. Diese werden voraussichtlich Teil der Europäischen Gesetzgebung, wenn die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verabschiedet und bis zum 1. Dezember 2022 in nationales Recht überführt wird. Europäische Unternehmen müssten dann in ihren Geschäftsberichten für das Finanzjahr 2023 verbindlich nach den ESRS über ihre Nachhaltigkeitsinformationen Auskunft geben. Inwieweit sich die Europäischen Nachhaltigkeitsstandards und die künftigen ISSB-Standards ergänzen werden und ob Unternehmen nach beiden Standards berichten müssen, bleibt abzuwarten. Die EFRAG erklärte jedoch, dass man sich auf eine „fruchtbare Zusammenarbeit“ mit dem ISSB freue. Unterschiede zwischen den ISSB-Standards und den ESRS dürfte es hinsichtlich des Wesentlichkeitsverständnisses geben. So definieren die ISSB-Standards, aufbauend auf Rahmenwerken wie SASB, Wesentlichkeit aus finanzieller Hinsicht und richten sich primär an Investoren. Die EFRAG arbeitet bei der Formulierung der ESRS hingegen mit der Global Reporting Initiative (GRI) zusammen, die in ihren Berichtsstandards das Prinzip der doppelten Materialität verfolgt. Dieses berücksichtigt neben der Wesentlichkeit in finanzieller Hinsicht auch die Wesentlichkeit in Bezug auf Umwelt und soziale Belange und richtet sich damit nicht nur an Investoren, sondern auch andere Stakeholder wie NGOs bzw. eine breitere Öffentlichkeit. Mit Blick auf die ab 2024 anzuwendenden ESRS gilt, analog zu ISSB, dass Unternehmen im Vorteil sind, die ihre Nachhaltigkeitsberichte schon heute nach den GRI-Standards ausrichten, da diese zu großen Teilen in die ESRS einfließen werden.

Frankfurt als ESG-Zentrum

Als dritten Punkt neben der Gründung des ISSB und der damit einhergehenden Konsolidierung von VRF und CDSB sowie der Veröffentlichung der beiden Berichtsstandard-Prototypen gab die IFRS Foundation auf der COP26 bekannt, dass das Hauptbüro des ISSB in Frankfurt aufgebaut wird. Die Bewerbung um das ISSB-Hauptbüro hatten zahlreiche und namhafte Akteure aus Politik, Finanzwirtschaft und Industrie sowie Zivilgesellschaft und Wissenschaft unterstützt. In seiner damaligen Funktion als Bundesfinanzminister nannte Olaf Scholz (SPD) die Entscheidung für Frankfurt einen „Erfolg für den Finanzplatz Deutschland“, und der hessische Finanzminister Boddenberg kommentierte: „Frankfurt wird die Finanzmetropole sein, von der aus die globalen Berichtsstandards für Nachhaltigkeitsaspekte geprägt werden.“ Eine ähnliche Einschätzung gibt auch Christina Bannier, Professorin für Banking und Finance an der Universität Gießen. Der Börsenplatz könnte durch die Ansiedlung des ISSB beim mit noch viel Unsicherheit besetzten Thema Nachhaltigkeit „neue Akzente setzen“. Zudem dürfte sich um das ISSB eine Peripherie aus Beratern mit Fokus auf ESG-Reporting bilden. Auch dürfte das neue Hauptbüro Lobbyisten anziehen, da die Ausarbeitung der ISSB-Standards noch nicht abgeschlossen ist und das ISSB in seinem weiteren Vorgehen „öffentliche Konsultationen“ angekündigt hat, die bei der Formulierung der finalen Standards Berücksichtigung finden sollen.

Kritikpunkte und Schwerpunktsetzung

Vor einem zu starken Fokus der Unternehmensberichterstattung auf ESG-Themen warnt indes Hester Peirce, Kommissarin der Amerikanischen Börsenaufsicht SEC. Sie befürchtet, dass laxere Standards auf Seiten des ISSB die Vorgaben der Schwesterorganisation IASB aufweichen könnten und die Tendenz weg vom Finanzfokus hin zu „weicheren“ Nachhaltigkeits-Aspekten gehen könnte. Dadurch bestehe die Gefahr, weniger streng „mit allen möglichen Leuten“ umzugehen, indem man ihnen erlaube, Nachhaltigkeits-Aspekte in Unternehmensberichten zu priorisieren. Michel Madelein von der IFRS Foundation sieht diese Gefahr jedoch nicht gegeben. Zwar soll zwischen den von ISSB und IASB berichteten Informationen eine Kontinuität bestehen, sodass die finanziellen Angaben ausdrücken, was in der Vergangenheit passiert ist, während Nachhaltigkeits-Aspekte Aussagen über den zukünftigen Unternehmenswert zulassen. Beide Organisationen werden indes unabhängig voneinander operieren, wodurch die Integrität der Finanzberichtsstandards gewährleistet bleibt.

Der Kritik von SEC-Kommissarin Peirce ließe sich zudem entgegnen, dass die künftigen ISSB-Standards tatsächlich zu einem strengeren Umgang mit Unternehmen führen könnten, indem sie rechtlich verbindlich werden. Aus Sicht von Erkki Liikanen, Vorsitzender der IFRS Foundation, wäre dies zumindest für Klima-Belange wünschenswert, wobei grundsätzlich für das ISSB gelten solle: „Klima zuerst, aber nicht Klima ausschließlich!“. Es bleibt unterdessen abzuwarten, ob die US-Börsenaufsicht beim Thema ESG-Reporting künftig nicht selbst auf die ISSB-Standards zurückgreifen wird, wenn unter der Administration von Präsident Joe Biden der „ESG Disclosure Simplification Act of 2021“ den Senat passieren sollte. Damit würde die ESG-Berichterstattung künftig rechtlich bindend für amerikanische börsennotierte Unternehmen werden. Über die Hintergründe, Ziele und möglichen Auswirkungen des ESG Disclosure Simplification Act erfahren Sie an dieser Stelle Näheres in zwei Wochen.

FAZIT

Das International Sustainability Standards Board (ISSB) wird seine ersten finalen Standards voraussichtlich Ende dieses Jahres präsentieren. Ebenfalls zum Jahresende wird die Corporate Sustainability Directive (CSRD) auf EU-Ebene verabschiedet und am 1. Dezember 2022 von den Mitgliedstaaten in nationales Recht überführt werden. Die darin formulierten European Sustainability Reporting Standards (ESRS) werden dann erstmals im Jahr 2024 für die Berichte des Finanzjahres 2023 anzuwenden sein. Stakeholder und insbesondere Investoren setzen hohe Erwartungen an die neuen Nachhaltigkeitsstandards, da sie den Entscheidungsprozess bei künftigen Investments erleichtern. Für Unternehmen bedeuten die Regelwerke einerseits zwar einen Mehraufwand bei der Berichterstattung, erhöhen auf der anderen Seite aber die Chancen, sich Wettbewerbsvorteile durch die Erschließung neuen Kapitals zu verschaffen. Da ihr Inkrafttreten immer näher rückt, empfiehlt es sich für Unternehmen, die noch kein ESG-Reporting etabliert haben, dies so schnell wie möglich nachzuholen. Dabei bieten die Standards der Global Reporting Initiative (GRI) für EU-Unternehmen die beste Orientierung, da die GRI die Europäische Beratungsgruppe zur Rechnungslegung (EFRAG) bei der Ausarbeitung der ESRS unterstützt. Doch auch stärker auf Investoren ausgelegte Berichtsstandards wie von Sustainability Accounting Standards Board (SASB) bieten eine gute Orientierung, um ein professionelle Nachhaltigkeitsberichterstattung aufzubauen, da diese die Grundlage der künftigen ISSB-Standards bilden. Das Ziel von ISSB und CSRD bleibt indes dasselbe: durch die Schaffung global verbindlicher und vergleichbarer Berichtsstandards für Unternehmen die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung zu fördern und Greenwashing zu unterbinden.

Möchten Sie sich weiter über das ISSB informieren und erfahren, welche Auswirkung seine Arbeit auf das künftige ESG-Reporting haben wird? Dann ist cometis der richtige Ansprechpartner für Sie: Ihre Fragen beantworten wir gerne!

[1] Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ist eine geplante Nachfolgeregelung der Non-Financial Reporting Directive (NFRD). Initiator der CSRD ist die Europäische Kommission mit ihrem im April 2021 veröffentlichten Vorschlag. Bevor der Vorschlag zur Richtlinie wird, muss er noch einige Instanzen passieren. Nach der Verabschiedung auf EU-Ebene muss die CSRD bis zum 1. Dezember 2022 in nationales Recht überführt werden, wodurch sie für Unternehmen wirksam wird. Nach dem aktuellen Zeitplan soll die Regelung ab dem 01. Januar 2024 gelten, also für die Berichte über das Geschäftsjahr 2023.

[2] Die Value Reporting Foundation (VRF) ist eine weltweite Non-Profit-Organisation, die im Juni 2021 gegründet wurde und aus einem Zusammenschluss des International Integrated Reporting Council (IIRC) und des Sustainability Accounting Standards Board (SASB) hervorgegangen ist.

[3] Bei dem Climate Disclosure Standards Board (CDSB) handelt es sich um ein internationales Konsortium aus Unternehmens- und Nichtregierungsorganisationen.


Michael Diegelmann: Gründer und Vorstand
Michael Diegelmann hat über 50 Unternehmen an die Börse gebracht und Erfahrungen in über 250 Investor Relations und ESG-Projekten gesammelt. Er ist seit 1997 im Bereich Kapitalmarktkommunikation tätig und ein ausgewiesener Experte in ESG-Themen.